Unser Kiez

Das Afrikanische Viertel in Berlin ist mit seiner großen Zahl an Afrika- und Kolonialbezügen im Stadtbild einmalig in Deutschland. Alle Straßen und Plätze zwischen Seestraße,Müllerstraße und Volkspark Rehberge wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach afrikanischen Orten, Ländern oder Personen der deutschen Kolonialgeschichte benannt. 

Die Geschichte dieser Straßennamen ist alltägliche Erinnerung und Mahnung zugleich. Mit rücksichtsloser Gewalt und mit Betrug beanspruchte das deutsche Kaiserreich zwischen 1884 und 1918 Teile Afrikas als Kolonien. Diese oft vergessene Kolonialzeit war geprägt durch gesetzlich sanktionierten Rassismus, Willkür und Gewalt und systematische Ausbeutung der afrikanischen Bevölkerung. 

Spiegelbild der deutschen Sicht auf Afrika in vier Epochen 
Das Afrikanische Viertel, dessen Entstehung vom Berliner Magistrat ausdrücklich als Kolonialviertel geplant war, entstand um 1900 am damaligen Stadtrand Berlins. Der U-Bahnhof Seestraße war Endhaltestelle der neuen Berliner Nordsüdbahn.An das Afrikanische Viertel schlossen sich weitläufige Grünflächen undWälder an: Die Rehberge und die Jungfernheide. In den Rehbergen plante Carl Hagenbeck die entwürdigende Ausstellung von Menschen aus Kolonien in so genannten Völkerschauen. 


Die Namen für Straßen und Plätze im Afrikanischen Viertel wurden nicht auf einmal vergeben. In über 50 Jahren zwischen 1899 und 1958 sind immer wieder Straßennamen mit Afrika- und Kolonialbezug hinzugekommen. Insofern spiegelt die Geschichte des Viertels den Blick auf den afrikanischen Kontinent aus vier Epochen deutscher Geschichte wider, der sich im Laufe der Zeit grundlegend verändert hat. Kaiserreich: Togostr. (1899), Kameruner Str. (1899), Lüderitzstr. (1902), Guineastr. (1903),Afrikanische Str. (1906), Transvaalstr. (1907), Nachtigalplatz, Swakopmunder Str., Windhuker Str. (alle 1910), Otawistr. (1911), Kongostr., Sansibarstr. (beide 1912) Weimarer Republik: Ugandastr., Dualastr., Sambesistr., Senegalstr., Tangastr. (alle 1927) Nationalsozialismus: Damarastr., Mohasistr. (beide 1937), Usambarastr. (1938), Petersallee (1939) Nachkriegszeit: Ghanastr. (1958). 


Die 1903 benannte Guineastraße verweist auf die Region Golf von Guinea, in der der kurbrandenburgisch-preußische Stützpunkt Großfriedrichsburg zur Zeit des Großen Kurfürsten (1620–1688) errichtet wurde. Die Brandenburger nutzten die Stützpunktkolonie zwischen 1683 und 1718 vor allem als Sammelpunkt für den Handel mit versklavten Menschen nach Amerika. Die rücksichtslose Verschleppung von Familienverbänden entvölkerte innerhalb weniger Jahrzehnte ganze Landstriche. Tausende Männer, Frauen und Kinder kamen bei der Atlantiküberquerung unter unmenschlichen Bedingungen ums Leben. Die jüngste Benennung einer Straße mit Afrika- und Kolonialbezug ist die Ghanastraße. Sie erhielt ihren Namen 1958 nach der Erringung der Unabhängigkeit Ghanas von Großbritannien. Sie ist die einzige Straße, die an die Epoche der Entkolonialisierung in Afrika erinnert. 

Kolonialisten als Namengeber 
Zwei Straßen und ein Platz –Lüderitzstraße, Petersallee, Nachtigalplatz– wurden nach deutschen Kolonialisten des späten 19. Jahrhunderts benannt. Der Bremer Kaufmann Adolph Lüderitz (1834–1886) riss mit Betrug große Teile des heutigen Namibia an sich, das 1884 die deutsche Kolonie Deutsch- Südwestafrika wurde. Hier begingen die deutschen Kolonialtruppen zwischen 1904 und 1908 an den Volksgruppen der Nama und Herero einen Völkermord. Nachdem sich die beiden Bevölkerungsgruppen gegen Vertreibung, Vergewaltigungen, Willkür und militärische Gewalt zur Wehr gesetzt hatten, fielen in dem als Rassenkampf deklarierten Krieg Zehntausende von Herero und Nama der Vernichtungsstrategie der deutschen Kolonialarmee zum Opfer. Überlebende Männer, Frauen und Kinder wurden in Konzentrationslagern interniert und zu Zwangsarbeit herangezogen. Ein Großteil von ihnen starb unter elenden Bedingungen, an Krankheiten und Unterernährung. 


Die Petersallee wurde 1939 von den Nationalsozialisten nach Carl Peters (1856–1918) benannt, die ihn zum Vorbild eines deutschen Kolonialhelden stilisierten. Peters war Ende des 19. Jahrhunderts Reichskommissar im damaligen Deutsch-Ostafrika. Dort führte er ein grausames Regime über die einheimische Bevölkerung. Peters war Rassist und Befürworter rücksichtsloser kolonialer Unterdrückung. Nachdem er mehrere Afrikaner willkürlich hatte hinrichten lassen, wurde er von der Reichsregierung abberufen und unter öffentlicher Beachtung in Berlin verurteilt. 1986 wurde die Petersallee nach Hans Peters (1886–1966) umgewidmet, ohne dass der Name der Straße geändert wurde.Wegen dieser Doppeldeutigkeit hält die Kritik an einer Petersallee inmitten der afrikanischen Straßennamen seit Jahrzehnten an. Hans Peters engagierte sich gegen die Naziherrschaft und war nach dem Zweiten Weltkrieg Mitgestalter der Berliner Landesverfassung. Gustav Nachtigal (1834–1885) interessierte sich als Afrikaforscher insbesondere für die islamische Kultur Nordafrikas. Er stellte 1884 als Reichsbeauftragter für Togo und Kamerun diese Gebiete unter sogenannten deutschen Schutz. Im selben Jahr beglaubigte er die von Lüderitz mit betrügerischen Absichten gewonnenen Landerwerbungen in Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Für die oben genannten Namensgeber, die stellvertretend für den deutschen Kolonialismus stehen, fordern viele Berlinerinnen und Berliner seit langem die diesbezüglichen Straßen umzubenennen. Vielfach werden Benennungen nach verdienstvollen afrikanischen Frauen vorgeschlagen. 

 

Gedenktafelkommission der 
Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte